Am Ort des Geschehens

Ich würde mir lange Vorwürfe machen, wenn ich dem vermeintlichen Standort der Varusschlacht - einem Wendepunkt im Buch - nicht einen Besuch abgestattet hätte. Dieser Standort liegt bei einem kleinen Dorf namens Kalkriese, was wiederum im Tecklenburger Land liegt. Wenn du - wie ich - nicht gerade aus der Gegend kommst, hast du davon noch nie gehört. Zumal man selten in diese Gegend kommt, denn dort gibt es nicht all zu viel. Zur groben Orientierung: die Ecke von Bielefeld, Osnabrück, Münster. Also Norddeutschland ohne Küste (aber schon mit schönen, roten Backsteinhäusern). Dort, wo die Menschen auf jeglichen Akzent verzichten können.

Es war eine seltsame Erfahrung (und eine lange Autofahrt): beinahe wie auf einer Schnitzeljagd findet man zeitgenössische Hinweise auf die Ereignisse, die sich vor 2.000 Jahren in dieser Gegend vermutlich abgespielt haben: "Varus-Therme", "Arminiusstraße", "Varus-Cafe"... mein Favorit ist der "Cherusker-Grill"!

Unser Ziel war das hervorragende aber an diesem kalten Dezembertag wortwörtliche leere Museum Varusschlacht direkt bei Kalkriese. Wir betraten den Eingangscounter (= Geschenkeladen), sahen uns um... und holten erstmal tief Luft. Sage und schreibe 4 (!) Regale voller Literatur über Arminius und die Varusschlacht. Sachbücher neben Belletristik. Einen Großteil davon hatte ich selbst im Rahmen der Recherche gelesen. Aber an diesem einen Punkt meine gesamte Konkurrenz im Regal versammelt zu sehen, war ein "interessanter" Augenblick, der mir nur ein ganz klein wenig Angst machte.

Das Museum wurde zum zweitausendjährigen Jubiläum der Schlacht 2009 erst renoviert. Die Ausstellung befindet sich in einem Turm, der Aussicht auf das benachbarte (Schlacht)Feld bietet. Im ersten Stock wird hervorragend und anschaulich erläutert, wer die Römer und Germanen waren, warum sie miteinander größtenteils nicht klar gekommen sind und wie die Varusschlacht als Wendepunkt im germanisch-römschen Konflikt verlief... vermutlich. Die Ausstellung ist lang nicht so detailliert wie z.B. in der hessischen Saalburg, aber kommt dafür gut auf den Punkt und langweilt an keiner Stelle. Das muss ein Museum auch erst mal schaffen. Und ich war heilfroh, dass sich so ziemlich ALLES mit meiner Geschichte deckte. Es scheint so, als hätte ich mir keinen historischen Fauxpas erlaubt. Und wenn doch, nehme ich hiermit literarische Freiheiten durch historische Ungenauigkeiten für mich in Anspruch! So!

Mit einem Audio-Guide und einer großen Portion Neugier bewaffnet machte ich mich auf in das benachbarte Feld, wo man den Engpass nachgebildet hat, in welchen Arminius die Römer gelockt hatte: zwischen einem großen Moor und einer bewaldeten Anhöhe musste sich der Zug der römischen Legionen in die Länge ziehen. Und die Germanen - gar nicht dumm - fielen ihnen unter dem Schutz eines Walles in die Flanke.

Es herrschte "Varusschlacht-Wetter": Temperaturen um den Gefrierpunkt, ein eisiger Wind und leichter Schnee-Regen. Wie damals (sofern man den römischen Quellen Glauben darf, die Wetteraufzeichnungen der Germanen sind leider verschütt gegangen).

Ich war weit und breit der einzige Mensch.

Es war großartig.

Mit den Berichten von Varus und Arminius im Ohr brauchte ich nicht mehr viel Vorstellungskraft, um mir den Verlauf der Schlacht vorzustellen. Ob sich die Varusschlacht (oder eine andere) an exakt dieser Stelle (oder einer anderen) abgespielt hat, spielt dabei keine Rolle: die Geschichte des Aufstands der Germanen gegen die römischen Besatzer, ihre Gerissenheit wie ihre Kaltblütigkeit, wurden in meinem Kopf lebendig. Der Tag, an dem Deutschland entstand. Ich hoffe, ich kann diesen Eindruck auch in meinem Buch vermitteln.

Deswegen gibt es an dieser Stelle auch nur ein Bild: Modell der bei Kalkriese gefundenen Maske eines römischen Reiters. Das besterhaltenste Artefakt, dass man am vermeintlichen Standort der Varussschlacht finden konnte - und daher auch Symbol der Ausstellung.

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Tomas HerzbergerComment